Husch, husch, husch, die Eisenbahn…

„Husch, husch die Eisenbahn, wer will mit nach Frankfurt fahr‘n?“ so hat mein Opa mir oft vorgesungen. Damals war die Eisenbahn Lebensader für die Wetterau: Tonnenweise wurden Zuckerrüben zur Zuckerfabrik nach Friedberg gerollt, hunderte Pendler bestiegen täglich die Bahn Richtung Frankfurt und für Arztbesuche und Einkäufe konnte jedermann die Horloff – talbahn nutzen. Aber ab 1981 wurden die Zuckerrüben mit LKWs nach Groß Gerau gebracht und 2003 war dann endgültig Schluss für den gesamten Bahnverkehr zwischen Wölfersheim und Hungen. Die Bahnlinie rechnete sich finanziell nicht mehr und, was die wenigsten wissen, die Bahnlinie war als Nachschublinie für den Kriegsfall gedacht, weil mit ihr die Versorgung des sogenannten „Fulda Gaps“ möglich war, der eine Aufmarschlücke für russische Panzer in der Westverteidigung darstellte. Und spätestens nach dem Fall der Mauer hat man an einen dauerhaften Frieden geglaubt. Selbst dafür schien die Bahn nun nutzlos.

„Die Schließung der Bahnlinie 31 – ein großer Fehler“! fanden schon damals die SPD-Kommunalpolitiker von Wölfersheim. Gerhard Herbert, früherer ehrenamtlicher Beigeordneter der Gemeinde Wölfersheim und späterer Bürgermeister von Heppenheim, hatte von 1989-93 mit weiteren Bürgern (hier seien stellvertretend Fam. Wallesch und Schleuning genannt) mit einer damals ungewöhnlichen Protestform für den Erhalt der Bahnlinie gekämpft. An der Tankstelle Ortseingang Dorheim hing ein großes Banner mit dem Slogan: „Lieber Bahn fahren als Schlange stehen!“ Im Hintergrund eine selbstgemalte Giftschlange. In der Folge stellte die SPD in der Wölfersheimer Gemeindevertretung den Antrag zur Anschaffung des Trieb wagens VT 628 für den Strecken abschnitt Friedberg-Wölfersheim, so dass wenigstens dieser Teil der Strecke aktiviert blieb. Die Gemeinde Wölfersheim beteiligte sich mit 80.000 DM an den Kosten. Hungen hatte damals wenig Interesse an der Bahnlinie, weil diese mitten durch die Stadt führend häufige Ursache für unangenehme Rückstaus auf der Straße war und leider noch immer ist. Aber die Einsicht kam: Im Jahr 2011 erwarben Wölfersheim und Hungen unter Bürgermeister Rouven Kötter die Bahnstrecke bis Hungen (Kosten des Wölfersheimer Anteils: 170.000 Euro). So wurde die Entwidmung verhindert und die Chance zur Reaktivierung gewahrt.

Sonst wäre die Strecke nämlich abgebaut und die Grundstücke zerteilt und verkauft worden. Der Ankauf des Bahn hofs im Jahre 2012 hat die Gemeinde Wölfersheim dann noch einmal 120.000 Euro gekostet. Dies erweist sich heute ebenfalls als kluge Entscheidung. Vorausschauendes politisches Wagnis hat es überhaupt erst möglich gemacht, dass man heute von einer Wiederaufnahme des Zugverkehrs zwischen Wölfersheim und Hungen träumen darf.

Die Automobil-Euphorie der 80er und 90er Jahre hat angesichts des drohenden Verkehrskollapses im Großraum Frankfurt ein Ende gefunden. Wer täglich morgens und abends zwischen Rhein-Main-Region und Umland pendelt, weiß nur zu gut, dass das Autofahren hier seinen Reiz verloren hat. Das hat nichts mehr mit Freude am Fahren und Genuss an der Technik zu tun. Das ist Stress pur bis hin zur Gesundheitsgefährdung und verlorene Zeit. Ein Pendelkollege beschrieb kürzlich seine täglichen Autofahrt von und nach Frankfurt so: „Da hat die Scheiße den Ventilator erreicht!“ – Stop and Go, Stau, Unfälle, Stress und Nerven krieg sind heute tägliche Begleiterscheinung des Weges zur Arbeit. Dazu kommt noch eine unverantwortliche Umweltbelastung. Inzwischen ist Einsicht bis nach oben in die hessische Landesregierung gelangt, auch dank der unermüdlichen Bemühungen der 2001 gegründeten „Arbeits gemeinschaft Horlofftalbahn“.

Die Wiederinbetriebnahme der 12 km langen Strecke zwischen Wölfersheim und Hungen könnte letztlich eine durchgehende Verbindung zwischen Lich/Hungen bis nach Frankfurt mit einer Zeitersparnis von 30 Minuten ermöglichen. Das würde die Straßenverbindungen entlasten und gleichzeitig die Luftverschmutzung durch Autoabgase verringern. Die geschätzten zukünftigen Fahrgastzahlen rechtfertigen die erwarteten Kosten von rund 21 Mio. Euro. Das wird sicherlich keine schnelle Verwirklichung: Die ohnehin vernachlässigten Bahnübergänge, die Sicherungstechnik und die Gleise müssen grundlegend erneuert werden. Der Bahnhof Hungen wurde im Jahr 2017 saniert. Einer der drei Bahnsteige soll zukünftig von der Horlofftalbahn genutzt werden. Der Wölfersheimer Bahnhof ist gerade im Umbau und ein Bahnsteig ist bereits auf modernstem Stand erneuert. Vor der Wiederaufnahme des Betriebs muss noch der Bahnhof Beienheim auf signaltechnischer Seite modernisiert werden. Die Zustiegsmöglichkeiten zwischen Wölfersheim und Hungen und Straßenquerungen müssen erneuert bzw. evtl sogar erst geschaffen werden. Da könnte man angesichts der Schwierigkeiten fast verzagen. Ich halte es aber lieber mit dem römischen Philosophen Seneca (4. Jh.v. Chr.), der meinte: „Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.“

Für die Kinder zwischen hier und Hungen wird das alte Kinderlied hoffentlich bald wieder einen Sinn machen. Aber wie erklärt man seinen Enkeln das „husch, husch, husch“, wenn die Eisenbahn dieses Geräusch mangels Dampf gar nicht mehr macht? Die Wölfersheimer SPD jedenfalls steht
genügend unter Dampf, da wird das Bähnchen schon noch fahren, oder?

Karl Ernst Pulkert