Flüchtlinge und Frankfurter – wollen denn alle bei uns wohnen?

Ein Gespräch mit unserem Bürgermeister Rouven Kötter zur aktuellen Flüchtlingssituation und künftigen Neubaugebieten in Wölfersheim

Bürgergespräch: Herr Bürgermeister Kötter, vor etwa einem Jahr haben wir uns über den enormen Anstieg der Flüchtlingszahlen unterhalten. Wie ist die aktuelle Lage diesbezüglich in unserer Gemeinde?

Bürgermeister Kötter: Die Zahl der Flüchtlinge, die uns zugewiesen werden, hat sich stark reduziert. Im zweiten Quartal waren es bislang lediglich drei Personen. Insgesamt sind in unserer Gemeinde momentan 107 Personen in kommunalen Gebäuden untergebracht und etwa 25 Personen in einer Unterkunft des Wetteraukreises. Dank der engagierten Gemeindemitarbeiter und insbesondere auch des großen ehrenamtlichen Engagements läuft die Unterbringung und Betreuung gut. Es war meiner Meinung nach eine gute Entscheidung, nicht auf Container oder große Sammelunterkünfte zu setzen, sondern die Flüchtlinge im gesamten Gemeindegebiet verteilt in normalen Wohnhäusern unterzubringen. Das erleichtert das Einfügen in die Nachbarschaft und die dortige Akzeptanz. Auch finanziell war es eine kluge Entscheidung.

Warum das? Es wurde doch sehr viel Geld für Häuser ausgegeben.

Das stimmt. Aber dieses Geld ist nicht verloren, sondern wurde in Immobilien investiert. Diese verlieren nicht an Wert, sondern steigern diesen dank der Wohnungsnot im Rhein-Main-Gebiet und der niedrigen Zinsen für Geldanlagen sogar. Wir haben keine Container auf irgendwelchen Parkplätzen stehen, die wir dann mit großem Wertverlust wieder veräußern müssen. Wir haben normale Zweifamilienhäuser gekauft, nutzen diese nun für die Flüchtlingsunterbringung und können sie zu einem späteren Zeitpunkt als reguläre Mietshäuser nutzen oder wieder ohne Verluste veräußern, da bin ich mir sicher.

Aber was ist mit den laufenden Kosten? Renovierungsarbeiten, Energie und so weiter?

Wir bekommen vom Wetteraukreis eine finanzielle Pauschale für jeden untergebrachten Flüchtling. Damit können wir diese Kosten gut abdecken. Was leider nicht bezahlt werden kann, ist das außerordentliche Engagement der Ehrenamtlichen und auch die zusätzliche Arbeit für Rathaus und Bauhof darf ich nicht reinrechnen. Insgesamt kann man aber festhalten, dass die Unterbringung in Wölfersheim sehr gut läuft, von allen Parteien im Gemeindeparlament mitgetragen wird und für unsere Bürger zu keinen Einschränkungen geführt hat.

Sie sprachen eben den Wohnungsdruck im Rhein-Main-Gebiet an. Wird es auch in Wölfersheim weitere Neubaugebiete geben?

Wir wollen in den kommenden Jahren den nächsten Erweiterungsschritt der Södeler „Füllgesgärten“ in Richtung Melbach anpacken und auch die geplanten kleineren Baugebiete in Berstadt (Am Teich) und in Wohnbach (In der Bitz und Kammergärten) auf den Weg bringen.

Müssen wir denn wirklich unseren wertvollen Ackerboden zupflastern, um Wohnraum für Leute aus Frankfurt, Bad Homburg oder Offenbach zu schaffen?

Sie haben absolut Recht, unsere Ackerböden haben eine herausragende Qualität und wir müssen daher bei jeder Entscheidung besonders sorgfältig die verschiedenen Interessen abwägen. Die Entwicklung neuer Baugebiete in unserer Gemeinde geschieht jedoch nicht, um anderen etwas Gutes zu tun. Wir wollen diese Gebiete aus reinem Eigeninteresse für unsere Gemeinde entwickeln. Die Erfahrung der letzten Baugebiete hat gezeigt, dass etwa 50 % der Bauplätze an Einheimische veräußert werden, die aus dem Elternhaus rausgewachsen sind, gerade eine eigene Familie gründen und ihre Kinder gerne dort aufziehen möchten, wo sie selber groß geworden sind. Wenn wir keinen bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen, verlieren wir diese Mitbürger, die gerne hier wohnen wollen und meist bestens ins Ortsgeschehen und das Vereinsleben integriert sind. Das wollen und müssen wir verhindern, um unsere Ortsgemeinschaft am Leben zu halten. Wir brauchen aber auch die 50 % aus anderen Kommunen, auch aus dem Zentrum der Region.

Warum das? Was nutzt es uns denn, wenn ein Frankfurter die vergleichsweise billigen Baulandpreise bei uns nutzt und dann doch den ganzen Tag zum Arbeiten in Frankfurt ist?

Unsere Gemeinde hat eine für unsere Größe herausragende Infrastruktur mit Kindergärten in allen Ortsteilen, Betreuungsplätzen ab dem ersten Lebensjahr, einer gemeinsamen Grundschule, einer Kooperativen Gesamtschule mit Oberstufe, Einkaufs- und Dienstleistungsmöglichkeiten für nahezu alles, was man im täglichen Leben braucht, Schienenverkehr ab Wölfersheim-Södel in Richtung Zentrum der Region, Allgemeinmedizinern, sogar einem Augenarzt, Apotheken, Banken, die nicht nur aus Geldautomaten bestehen, sondern auch mit Personal besetzt sind, einem umfangreichen Kulturangebot und vielem mehr. Damit das auch in Zukunft so bleibt, brauchen wir Menschen, die all das nutzen und somit wirtschaftlich tragbar machen. Unsere jährlichen Geburten fangen die jährlichen Todesfälle nicht auf. Wir brauchen Zuzug, um unsere Bevölkerungsgröße zu halten und somit genügend Kunden und Nutzer für all das oben aufgezählte zu haben.

Was würde mit unserer Gemeinde passieren, wenn niemand mehr herziehen würde?

Wenn niemand mehr zu uns zieht und wir davon ausgehen, dass auch niemand wegzieht, hätten wir nur Veränderungen durch Geburten und Todesfälle. Dann würden wir jährlich um etwa 30 bis 50 Personen schrumpfen. Wir müssten Kindergärten und Bürgerhäuser in Ortsteilen schließen und zentral bündeln. Ob das Schulangebot in der jetzigen Form aufrechterhalten werden könnte ist fraglich und nach und nach würden auch die letzten Geschäfte und Dienstleister aus unserer Gemeinde verschwinden. Wenn dies geschieht, ziehen weniger Unternehmen zu uns, der Wirtschaftsstandort wird unattraktiver, Arbeitsplätze gehen verloren und jungen Menschen fehlt somit die Zukunftsperspektive. Diese Entwicklung ist nicht ausgedacht, sondern in vielen Ortschaften im Osten Deutschlands aber auch in Teilen Hessens zu beobachten. Ich könnte diese Gedanken nun weiterführen, hin zu sozialen Problemen und Kriminalität, aber ich denke die Botschaft ist auch so klar: Unseren täglichen Lebensstandard können wir nur dann halten, wenn wir Menschen die Möglichkeit bieten, zu uns zu ziehen. Dies gelingt nur zum Teil innerhalb unserer Ortschaften, wir brauchen auch Neubaugebiete. Wenn wir uns einigeln und abschotten, haben wir bereits verloren. Die demografischen Zahlen lassen da keinen Zweifel zu.

Können wir also bald mit weiteren Neubaugebieten rechnen, die Sie oben noch nicht genannt haben?

Nein. Wie bei vielen Fragen gilt auch hier: Ein gesundes Maß ist wichtig. Es bringt gar nichts, wenn wir nun auf Teufel komm raus Neubaugebiete entwickeln und die Ortsgemeinschaft mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten kann. Wölfersheim ist aufgrund unserer guten Infrastruktur und der Nähe zu Frankfurt ein absolut gefragter und attraktiver Wohnstandort. Wir sind aber auch eine dörflich geprägte Gemeinde und diesen Charakter wollen wir erhalten. Dies ist eine schwierige Gratwanderung, die uns bislang jedoch gut gelingt. Damit dies so bleibt, werden wir auch künftig Neubaugebiete nur maßvoll und verträglich ausweisen und vermarkten. Dann erhalten wir Wölfersheim für die Bürger unserer Gemeinde als liebens- und lebenswerten Wohnort im grünen Norden der Region Frankfurt-Rhein-Main.

Vielen Dank für das Gespräch.