Beschäftigung für Flüchtlinge: ein SPD-Antrag im Gemeindeparlament

Es muss einem schon das Wasser bis zur Unterlippe schwappen, bevor man seine Habseligkeiten in einen Beutel packt, eine Wasserflasche füllt, mit seinen Ersparnissen einen Zöllner besticht und seine Familie, seine Freunde, seine Heimat heimlich auf unsicheren Schleichpfaden verlässt. Dennoch versuchen tausende Flüchtlinge in der Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben in Sicherheit nach Europa zu flüchten. In ihren Heimatländern herrscht Armut, Hunger, Gewalt, Krieg, Verfolgung und Arbeitslosigkeit. Die Reise nach Europa ist ungewiss, langwierig und gefährlich. Und Schlepper verlangen bis zu 10.000 Dollar pro Person. Flüchtlinge, die die Grenzen überwunden haben und bis zu uns gelangt sind, können einen Asylantrag stellen. Sie werden dann zunächst in eine Erstaufnahmeeinrichtung (z.B. nach Gießen) geschickt, ein großes Gelände mit Polizei, Arzt, Kantine und Schlafsälen oder auch Zelten. Sie werden dort registriert und von der Asylbehörde über ihre Fluchtgründe befragt. Eine Aufenthaltsgestattung erlaubt ihnen solange in Deutschland zu bleiben, bis über den Asylantrag entschieden ist. Nach drei Monaten in der Erstaufnahmeeinrichtung werden sie nach einem streng-geregelten Verteilungsschlüssel einem Kreis und einer Stadt bzw. Gemeinde zugewiesen. Manche Flüchtlinge bitten darum, dort untergebracht zu werden, wo bereits Verwandte leben. Dies geht aber nur bei Ehepartnern und minderjährigen Kindern. Die allermeisten Flüchtlinge kommen aus Eritrea (Gewaltherrschaft), Syrien (Bürgerkrieg), Afghanistan (instabile Republik) und Somalia (Bürgerkrieg).

Anfangs überwiegt bei den Flüchtlingen das Gefühl endlich in Sicherheit zu sein, bevor die Sorge um die Zurückgebliebenen in der Heimat und die Ungewissheit über die Zukunft wieder in den Vordergrund treten. Das Händi ist für die Asylsuchenden oft die einzige Kontaktmöglichkeit in der Heimat. Telefoniert wird zu ungewöhnlichen Zeiten, denn in Ostafrika ist die Uhr unserer Zeit 3 Stunden voraus. Der Fernseher hilft den Flüchtlingen dabei unsere westlich-europäische Kultur zu begreifen und die Sprache zu verstehen. Für die Hilfesuchenden aus den fernen Ländern muss unsere Lebensweise wohl ein heftiger Kulturschock sein. Ganz abgesehen von der ungewohnten Umgebung und den klimatischen Bedingungen sind unser Wohlstand und unser sorgloser Alltag für viele Flüchtlinge schwer zu begreifen. Damit die Menschen sich zurecht finden lernen, haben sich in Wölfersheim Bürgerinnen und Bürger auf ehrenamtlicher Basis zu einem „Runden Tisch“ zusammengefunden. Dort wird koordiniert und besprochen, wie unsere Flüchtlinge konkret unterstützt werden können. Daraus ist in bewundernswerter Weise uneigennützige praktische Hilfe geworden: regelmäßige Deutschkurse, Fahrradfahren sowie Verkehrsregeln werden geübt, Behördengänge und Arztbesuche organisiert, auch beim Umgang mit Geld, beim Einkaufen, und beim Besorgen von Kleidung wird geholfen. Vor diesen engagierten Wölfersheimer Helfern wollen wir hier unseren „Hut ziehen“ und ihnen ganz laut „DANKE“ sagen.

Trotz der Unterstützung wird den Flüchtlingen der Tag, die Woche, der Monat doch lang, denn neben diesen Aktivitäten und Fernsehen gucken und telefonieren gibt es keine Beschäftigung für die Flüchtlinge. Asylbewerber/Flüchtlinge dürfen 3 Monate lang (früher 9 Monate) keinerlei reguläre Arbeit verrichten. Deshalb hat die SPD-Fraktion in der Gemeinderatssitzung am 13.Oktober per Dringlichkeitsantrag den Gemeindevorstand (oberstes ausführendes Organ der Gemeinde) aufgefordert zu prüfen, ob und inwieweit es möglich ist, den Wölfersheimer Asylbewerbern gemeinnützige Tätigkeiten auf freiwilliger Basis anzubieten. Alle anderen Fraktionen, außer natürlich den kackfarbenen Blut- und Boden-Gestrigen, stimmten dem Antrag der SPD zu. Mit einer Ergänzung der FWG-Fraktion wurde daraus ein gutes Päckchen für die Flüchtlinge in Wölfersheim.

Laut Gesetz müssen diese Tätigkeiten „gemeinnützig“ und „zusätzlich“ sein und dürfen keine regulären Arbeitsplätze gefährden oder Profit für Firma bzw. Privatleute erwirtschaften. Es wird also keinesfalls jemandem ein Arbeitsplatz weggenommen.

Nach dem Vorbild anderer Gemeinden können wir uns z.B. folgende Tätigkeiten vorstellen:

  • Außenarbeiten bei Gemeindehäusern und Kindertagesstätten
  • Hilfen bei den Kirchengemeinden, AWO, DRK
  • Gemeindeverwaltung: Hilfen beim Kuvertieren von Serienbriefen, usw.
  • Hilfen bei Objektbetreuern (Stühle stellen oder wegräumen, usw.)
  • Hilfen in Büchereien usw.

In unserer Antragsbegründung berufen wir uns auf das in der Menschenrechtserklärung formulierte Recht auf Arbeit. Gerade Flüchtlinge leiden neben Verfolgung und Erniedrigung massiv unter dem Verlust ihrer Heimat und ihres sozialen und kulturellen Rückhaltes. Ein tätigkeitsloses Vor-sich- hin-Leben verhindert Anpassung und Integration. Eine sinnvolle Beschäftigung ermöglicht auch gegenseitige Achtung nach dem Motto „Wir helfen euch, ihr helft uns!“ Die Bevölkerung sieht dann, dass sich die Asylbewerber durch ihre Arbeit in die Gemeinschaft einbringen. Es ergeben sich Anlässe zu Begegnungen. So erhoffen wir uns ein möglichst friedvolles Miteinander in Wölfersheim. Und viele von uns werden, wenn man nachforscht, in ihrer eigenen Familie auf eine ähnlich fürchterliche Vergangenheit von Flucht, Vertreibung und Heimatlosigkeit stoßen wie sie sich leider heute ähnlich grausam wiederholt.

Wer sich auf das Wagnis einlassen möchte, zu erfahren, wie es einem Flüchtling ergehen kann, der kann das unter www.lastexitflucht.org („gottseidsank spielerisch“) nachvollziehen.

 

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