Schbacks oder net Schbacks? Des is die Frage!

Neulich, wieder: Da will mer was schaffe und das Wichtigste fehlt. Ich muss in den Baumarkt. Mein persönlicher Lieblingsbaumarkt liegt im Berstädter Industriegebiet. Klein, aber fein, und eine Beratung mit Ahnung, z.B. von dem quirligen jungen Mann mit der hohen Stimme, der meinen Wunsch nach „Spaxschrauben“ obertonreich ins Regal zwitschert. Bevor ich an die bewussten Spaxschrauben gelange, treffe ich meinen alten Schulkollegen H…Ewig nicht gesehn! – Der erkennt mich tatsächlich wieder, obwohl ich 4 Kilo zugelegt habe. Das bewährte Muster: „Bist du`s? Oder bist du`s net? Wie geht`s? Was machste`n so? Bist du schon operiert? Habt er noch die dick-fett-grau Katz? Weißt de noch damals beim Schoppeturnier?“ Bla blubb ladida usw.

Und plötzlich, Themenwechsel, wie aus dem Nichts: „Du bist doch der Fraktionsvortänzer von de SPD hier bei uns. Ich war da neulich mal in so einer Sitzung. Also ihr habt ja da eine fette Mehrheit sitze. Alle Achtung – ein bunter Haufe: alt, jung, Männchen, Weibchen, alle Sorte Mensche.“ – „Ja“, sag ich, „da haste recht. Des ist wirklich eine prima Mischung. Mir ham alles dabei: vom Unternehmer bis zum Student, von der Hausfrau zur Oberstudienrätin, vom Landwirt bis zur Versicherungskauffrau, und so weiter und so fort.“ Ich zähl ihm unsere komplette Mannschaft auf. Da fällt ihm etwas auf: „Ja, und bei de Abstimmung, da hebt ihr wie 1 Mann die Hand, obwohl ihr so viele unnerschiedliche Leut habt. So einig kann mer doch gar net sei? Des krieg ich net einmal daheim am Esstisch hin, wenn`s Schnitzel regnet.“ – „Jetzt hat er mich“, denk ich. Mir wird schlagartig klar: „ Die Spaxschrauben müssen warten.“ Zwischen Klospülkasten und Imbusschlüsselsatz versuche ich unsere Ortspolitik auf Akkuschrauber-Tempo runter zu drehen, damit wenigstens die Spaxschrauben heute noch in die Wand kommen: „Also“, sag ich und hole Luft und mein Schulkollege stützt seinen Unterarm aufs Regal, „unsere scheinbar schwerelose SPD-Einigkeit entsteht bei unseren Fraktionssitzungen in langen Diskussionen und heißen Abenden hinter geschlossenen Türen, gelegentlich auch mit Wut und Frust im Bauch, aber immer in dem Gefühl ernst genommen zu werden und nicht überrumpelt an die Wand gefahren zu werden. Die Wölfersheimer SPD-Mitglieder schicken 36 Leute ihrer Wahl in diese Fraktionssitzungen. Alle 5 Ortsteile sind also angemessen vertreten, darunter natürlich auch die von den Bürgern/innen gewählten 19 Gemeindevertreter/innen, sowie alle SPD-Gemeindevorstandsmitglieder. Und unser Bürgermeister darf natürlich auch nicht fehlen. Alle wichtigen Themen und Anträge, die in der Gemeindevertretung anstehen, werden vorher in diesen internen Fraktionssitzungen beraten und auch gelegentlich erstritten. Das ist natürlich aufwändig, und schwierig, manchmal sogar schmerzhaft. Aber hier ist der Platz zum Streiten und zum sich Fetzen. Jeder weiß, dass seine Meinung hier respektiert wird. Keiner muss sich „blöd vorkommen“. Am Ende der Diskussion steht in den meisten Fällen eine Entscheidung, die alle akzeptieren. Das garantiert jedem SPD Gemeindevertreter auch einen gewissen Schutz .“ Mist – Ich merke, jetzt bin ich doch ungewollt in die typische Lehrerrolle gerutscht: Ich doziere akademisch zwischen Werkzeugregalen herum. Mein alter Kumpel gegenüber pendelt unruhig, muss entweder aufs Klo oder hat was auf dem Herzen (Hat der nicht früher in Heimatkunde vor der Hessenkarte auch so nervös rumgewippt, damals als er Eschwege auf der Landkarte nicht fand?) Jedenfalls, jetzt bricht`s aus ihm heraus: „Das kling ganz ordentlich, aber wenn sich jemand nun wirklich gar net überzeuge lässt und eure Meinung überhaupt net einsieht, was`n dann? Ihr könnt den Mensch ja net aus de SPD exkommuniziern oder exhuminiert oder wie des heißt?“

Meine Antwort: „Natürlich kann im Ausnahmefall in der Gemeindevertretung auch jemand abweichend von der Fraktion abstimmen, aber das ist eher selten. Wir üben einen demokratischen Diskurs (Mist: Schon wieder der Lehrer in mir!), also d.h. wir bereden Probleme so ausführlich, dass möglichst alle eine gemeinsame Entscheidung mittragen können. Bei richtig schwierigen Themen gibt es sogar unter uns geheime Abstimmungen. Aber die Mehrheits-entscheidung wird eben dann von allen mit vertreten.“ Und mir fällt ein Zitat ein, das gut passt: „Der Nachteil an der Demokratie ist, dass die Mehrheit unrecht haben kann. Aber die Chance, dass die Mehrheit recht hat, ist größer.“ Mir fällt dazu auch ein, dass unsere SPD-Mehrheit im Gemeindeparlament durch ihre Vielfalt natürlich den Meinungs-querschnitt erhöht. Kleine Fraktionen haben es bestimmt leichter sich auf eine Stimme zu einigen, geraten aber auch ganz leicht in Gefahr eine Situation nur einseitig zu betrachten. Die große Vielfalt unserer Fraktionsmitglieder erhöht die Chance einer guten Entscheidung zum Wohl unserer Gemeinde erheblich.

Schulkollege H…wirkt etwas tot gelabert von mir und momentan komme ich mir in meiner blauen Latzhose mit Farbspritzern bei dem Thema sowieso etwas unpassend vor! Wir landen wieder sanft auf dem Boden des Baumarkts. Er löst den Arm vom Regal, greift an seinen Zollstock, überprüft den Bleistift hinterm Ohr. Alles sitzt perfekt. Wir klatschen uns wegen der alten Zeiten kräftig ab. Wir sehn uns wieder! Vielleicht ja mal bei der SPD. Danach brennt meine Handfläche etwas nach, aber das Highlight an der Kasse entschädigt mich: Die Stimme der Chefin persönlich, die erotischste Stimme südlich des Vogelsbergs – tief und rauchig wie das 200derter Schleifpapier. Die 3€42 hören sich an wie Rod Steward und Bonnie Tyler im Duett.

Fragt mich bitte nicht nach den Spaxschrauben! – Die hab ich an der Kasse liegen lassen!

Bild: Klaus-Uwe Gerhardt_pixelio.de